Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung, 12.09.2024
„Vieles ist nicht nachvollziehbar“
Heidelberg/Rhein-Neckar. Ralph Steffen ist derzeit nicht zu beneiden. Die Afrikanische Schweinepest (ASP) hält den Kreisjägermeister der Heidelberger Jägervereinigung mächtig auf Trab. Weil die Maisernte läuft und die Felder vor der Ernte mit Drohnen abgesucht werden müssen, ist er oft bis in die Nacht hinein auf Wildschwein-Suche. „Im Augenblick geht mein Tag von 4 Uhr morgens bis gegen 23 Uhr am Abend“, sagt der Gaiberger. Für die RNZ hat er dennoch Zeit für ein Interview gefunden.
> Herr Steffen, bislang gibt es laut Auskunft des Landratsamtes nur ein infiziertes Wildschwein im Rhein-Neckar-Kreis. Hat die Seuche ihren Schrecken bereits verloren?
Bisher wurde tatsächlich kein infiziertes Wildschwein mehr gefunden, trotz intensiver Suche und Beobachtung. Ob die Seuche eingedämmt ist, ist schwer zu sagen. Für mich ist es nur eine Frage der Zeit, bis wieder etwas auftaucht. Das Damoklesschwert schwebt also weiter über uns und wird uns wohl noch eine Weile beschäftigen, leider.
> Woran kann die geringe Anzahl der infizierten Tiere liegen?
Das ist in der Tat eine interessante Frage. Schweine sind soziale Tiere, welche in Familien, sogenannten Rotten, leben. Warum dann immer nur einzelne Sauen gefunden werden und dies auch oft viele Kilometer voneinander entfernt, passt eigentlich nicht. Ist das Virus tatsächlich so aggressiv, ist es verwunderlich, dass nicht die ganze Rotte angesteckt wird und verendet. Fundierte fachliche Aussagen konnte mir hierzu noch niemand geben.
> Haben die Maßnahmen – etwa Schutzzäune – denn Wirkung gezeigt?
Die Schutzzäune sind da, ja. Ob sie die erhoffte Wirkung der Seucheneindämmung tatsächlich bringen, wird sich aber erst zeigen. Vor einigen Jahren hat das in Brandenburg entlang der Oder offensichtlich nicht funktioniert. Die viel größere Gefahr der Verbreitung sind meiner Meinung nach weggeworfene, mit dem Virus kontaminierte Lebensmittel.
> Welchen Einfluss haben die Schutzzäune denn auf das Wanderverhalten anderer Tierarten?
Wie weit sich die Zäunung auf den Wildwechsel auswirken wird, ist derzeit nicht abzusehen. Die Wanderwege für das Wild sind teilweise erst einmal unterbrochen. Oft ist Wild aber auch sehr standorttreu, insbesondere Rehwild. Somit ist die Zäunung kein großes Problem aus meiner Sicht. Vorausgesetzt, der Zaun wird regelmäßig kontrolliert und überprüft.
> In der Pufferzone sollte stark gejagt werden, um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Wie viele Wildschweine wurden denn bislang erlegt?
Wie viele Wildschweine in der Pufferzone genau erlegt wurden, kann ich nicht beantworten. Mir sind einige Reviere bekannt, in denen tatsächlich stark bejagt wurde und wird. Da aber seit vielen Jahren bekannt ist, dass die Afrikanische Schweinepest kommen wird, haben viele Jäger, auch ich, die Wildschweinbestände kontinuierlich „nach unten gefahren“. In vielen Revieren war dies aber aus verschiedenen Gründen nicht immer möglich.
> Wie ist denn die derzeitige Stimmung unter den Jägern?
Die Stimmung ist nicht beste, da viele Anordnungen für die Jägerschaft nicht nachvollziehbar sind. So darf in der Infizierten Zone Schwarzwild generell nicht gejagt werden, obwohl bei gezielten Ansitzjagden die Schweine effizient bejagt werden könnten. In Rheinland-Pfalz ist dies möglich, in Baden-Württemberg leider nicht, warum? Die meisten Jäger benutzen mittlerweile Schalldämpfer und Wärmebildtechnik zur Wildschweinbejagung. Die Unruhe wird somit auf ein Minimum beschränkt. Auf Bewegungsjagden zu verzichten, ist dagegen nachvollziehbar und sinnvoll. Gleichzeitig sind aber die ASP-Suchteams mit Hunden unterwegs und gehen quer durch die Dickungen, um nach Kadavern zu suchen. Dies bringt mit Sicherheit mehr Unruhe in die Bestände, als eine Ansitzjagd. Zudem ist die Fleisch-Vermarktung sehr schwierig geworden, einige Metzger nehmen keine Wildschweine mehr an. Auch Teile der Bevölkerung sind vorsichtig geworden, obwohl das Wildbret bedenkenlos verzehrt werden kann.
> Gibt es auch Widerstand gegen geplante Maßnahmen?
Für großen Unmut und auch große Aufregung sorgen die geplanten und teilweise schon im Einsatz befindlichen Sauenfänge – also der Einsatz von Tierfallen. Ich persönlich und 99 Prozent meiner bekannten Jäger und Jägerinnen lehnen diese Art der Bejagung aus tierschutzrechtlichen, moralischen und jagdethischen Gründen grundsätzlich ab. Ich spreche hier nicht von Jagd, sondern von Schädlingsbekämpfung. Dies hat mit Jagd, wie ich sie ausübe, nichts zu tun.
> Es ist ja ein nicht unerheblicher Mehraufwand, wenn man von jedem verunfallten oder erlegten Tier Blutproben nehmen muss. Sorgt das für Unmut?
Die Beprobung ist ein Mehraufwand, welcher sich aber in Grenzen hält. Von jedem erlegten Wildschwein muss sowieso die Trichinenbeprobung erfolgen. Diese Arbeit nehmen die Jäger gerne in Kauf, wenn es zur Eindämmung der Seuche hilft. Aber mehr Bürokratie ist es auf jeden Fall.
> Nun darf ja auch in der Infizierten Zone wieder mit Einschränkungen gejagt werden. Wie ist Ihre Einschätzung?
Im sogenannten „Offenland“, sprich im Feld, darf wieder Reh- und Raubwild beagt werden, das ist gut. Sinnvoller wäre aber gewesen, auch das Schwarzwild freizugeben.
> Die Durchführung von Bewegungsjagden und Erntejagden in der Pufferzone ist wieder grundsätzlich möglich. Einschränkungen gibt es nur in Gemarkungen, die direkt an der Infizierten Zone liegen. Ausnahmen können laut Landratsamt im Einzelfall auf schriftlichen Antrag von der zuständigen Veterinärbehörde im Benehmen mit der Jagdbehörde und der Forstbehörde genehmigt werden. Ist dieser hohe bürokratische Aufwand gerechtfertigt?
Bewegungsjagden sind möglich, nur werden sich viele Jäger zurückhalten, weil erstens das Wildbret schlecht zu vermarkten ist und zweitens der bürokratische Aufwand nicht gerechtfertigt ist, beziehungsweise in keinem Verhältnis steht. Und ehrlich gesagt, eine Bewegungsjagd durchzuführen, um dann die erlegten Tiere zu entsorgen, kommt für mich persönlich aus moralischen und ethischen Gründen nicht in Frage.
> Zuletzt mussten ja sogar Betreiber von Maislabyrinthen oder Campingplätzen teure Schutzmaßnahmen ergreifen, um nicht schließen zu müssen. Halten Sie solche Maßnahmen für übertrieben?
Beschränkungen für Maislabyrinthe oder Campingplätze halte ich für relativ wirkungslos und grenzen an politischem Aktionismus. Genauso wie Feuerwerksverbote. Wie schon zu Anfang erwähnt, sehe ich das größte Problem in dem „Wegwerf-Verhalten“ einiger zweibeiniger Zeitgenossen. Eine kuriose Geschichte hierzu: Ein befreundeter Falkner aus Hessen hatte vor Kurzem von seinem zuständigen Veterinäramt die Anweisung erhalten, dass seine Greifvögel bitte nur noch entlang von Wegen fliegen sollen. Das erinnert mich an manche Coronaregel.
> Wagen Sie doch bitte abschließend einen Blick in die Glaskugel. Wann herrscht wieder Normalität in den Wäldern des Rhein-Neckar-Kreises?
Ein Blick in die Glaskugel ist schwierig. Die ASP wird uns wohl noch eine Weile beschäftigen. Wir werden es vielleicht schaffen, sie einzudämmen, verhindern wohl nicht. Viel wichtiger ist die Frage, wie sich die Wildschweinbestände verändern werden. Von vielen Revieren habe ich die Rückmeldung, dass viele Bachen mit Frischlingen unterwegs sind. Durch die fehlende Bejagung ist zu befürchten, dass sich die Bestände stark erhöhen werden, genau das, was man vermeiden wollte. Auch die Wildschäden in Weinbergen und landwirtschaftlichen Flächen nehmen sichtlich zu. Hier entstehen für Winzer und Landwirte zum Teil enorme Schäden, für die letztlich wohl der Steuerzahler aufkommen muss.